ein loft, zwei bmx und ein ganzer haufen marillenknödel. wien brennt!

3/27/2006

Osteuropatag

Schönbergs Chronometer ging ja schon immer falsch. Etwa sieben Minuten. Seiner beständigen Weigerung, dies zu korrigieren ist eigentlich nichts hinzuzufügen. Heute jedoch hat er den Vogel abgeschossen. Nachdem ich extra gestern abend die Uhr auf Sommerzeit umgestellt hatte (die überschüssigen sieben Minuten korrigierte ich in einer sentimentalen Anwandlung Schönberg zuliebe nicht), muss sich mein werter Kollege, in einem Anfall eigenbrödlerischer Besitztümelei, des nächtens noch einmal daran zu schaffen gamacht haben, um alle Änderungen rückgängig zu machen. Dies und seine vollkommen hilflosen Versuche, sich und uns mittels Kompass und Stadtplan zu orientiern führten dazu, daß wir noch vor der Besichtigung der ersten Wohung unseren Zeitplan für heute vergessen konnten. Nur meinem beherzten Eingreifen ist es zu verdanken, daß wir dennoch Gelegenheit hatten, drei Wohnungen in Augenschein zu nehmen. Die Erste, bei der uns eine nette Osteuropäerin die Türe öffnete, erwies sich, aus Sicht eines jeden normalen Menschen, sofort als Fehlgriff; Schönberg jedoch, der sich zuhause bevorzugt mit Bob-Rossesquen Gemälden aus Import-Export-Shops umgibt, und auch sonst einen faible für Ikonenmalerei und Kirchenkitsch hat, schien begeistert. Er bearbeitete die ältere Dame so lange, bis sie sich schweren Herzens bereit erklärte, uns ihre in allen erdenklichen Braunschattierungen gehaltene Küche für 1500€ zu überlassen. Während mein Kollege es sich im Geiste und leider auch tatsächlich in der Altdeutschen Stube gemütlich machte, sass ich wie auf heissen Kohlen. Nicht nur war mir sein Auftreten äusserst peinlich -dass er nicht bat, zum Mittagessen eingeladen zu werden, war auch schon alles- sondern auch die Wohnung mitsamt der Küche zuwider, was ich aus Taktgefühl vor der Dame des Hauses zu verbergen suchte. Zum Glück hatten wir noch weitere Termine, sonst säßen wir wohl noch immer dort zwischen Eichenachbildung und Nussholzlaminat.Die wohnung der Tieze war eigentlich recht annehmbar. Darum kümmerte sich Schönberg aber wenig, ihn interessierte allein Frau Tieze, die immerhin schon 87 und vermutlich niveauvollere Gesellschaft als seine gewohnt war. Ständig versuchte er Körperkontakt herzustellen, gerne unter dem Vorwand, die alte Dame stützen zu wollen. Mir wurde das ganze dann doch zu peinlich, und ich versprach ihm, daß er sich heute im "Peep69" die ganze nacht auf meine Kosten vergnügen könne, wenn er nur endlich aufhörte, die nette Frau Tieze zu belästigen. Das immerhin wirkte, und ich konnte ihn kaum davon überzeugen, auch noch einen Blick in die letzte Wohnung auf unserer Liste zu werfen. Es fiel ihm sichtlich schwer, die bereits hervorgekramten Bananenkostüme wieder in seinem Rucksack zu verstauen.Aber die Wohnung liess selbst ihn seine niederen Triebe für einen Moment vergessen: Eine Palaisartige belle Étage mit Sternparkett und vier meter hohen Stuckdecken, von denen Kronleuchter glitzerten.Unseren finnziellen Rahmen überschreitet die Luxus-WG um Längen, aber wir stehen in vielversprechenden Verhandlung mit J. , die wohl nicht ganz abgeneigt ist, sich einen Teil der Miete in Naturalien auszahlen zu lassen. Das müsste wegen Schönbergs missratener Physiognomie, und hier ist leider sein ganzer Konstitutionstyp betroffen, wohl ich übernehmen. Aber: einen Tod muss man sterben, und wenn ich die wahl habe zwischen J. und gemeinsamen verschimmeln mit meinem Kollegen im "Atelier mit Zukunft"(Schönberg), fällt mir die Entscheidung leicht. Gerade zum Abschluss des Tages noch kurz mit dem BMX über den Prater gerollt. Wüsst ich ihn nicht im "Peep69", hätte ich schwören können, den wahnsinnigen Schönberg allein und entrückt lachend im Autoscooter an die Banden krachen gesehen zu haben. Ich sollte wohl mehr schlafen.