Jay Schönberg

ein loft, zwei bmx und ein ganzer haufen marillenknödel. wien brennt!
Wieder mal kein Frühstück. Nagut, einen Streifen Zuckerfreien Kaugummi hat der gefrässige Schönberg noch übriggelassen. Ich habe mich schon gewundert, wie flink er heute Morgen auf den sonst bis mittags eher arthritisch verkrümmten Beinchen war. Den Plan hat er wohl schon gestern ausgeheckt, kam er doch schon vor Mitternacht von seinem allnächtlichen Streifzug durch das umgebende Rotlichtmillieu zurück. Wenigstens musste ich nur meinen leeren Magen und nicht dazu noch ihn ertragen, er war nach vollbrachter Tat ausgegangen, wer weiß, wohin. Zum ersten mal seit Tagen scheint die Sonne wieder. Deswegen Sachen gepackt und ab auf die Donauinsel. Wer sitzt da auf einem Poller, bewirft die vorbeifahrenden Lastkähne mit Steinen, und applaudiert Jugendlichen Herumtreibern, die hingebungsvoll Einkaufswagen vom Kai stossen? ER. Da Schönberg den neuen Falter mitgenommen hatte, musste ich mich zu ihm gesellen. Zum Glück kenne ich hier noch keinen. Den Falter überlässt er mir auch bereitwillig, mein Kollege schaut lieber einem knapp nicht mehr minderjährigen Pärchen beim heavy petting zu. Abgesehen von neuerlichen Selbstvertümmelungsversuchen Schönbergs beim Öffnen einer Dose Ananas mit einem Küchenmesser ein erfrischend ereignisloser Tag.
Heute wurden wir das erste mal pünktlich vom Mobiltelefon geweckt. Sonst hat der entschiedene Nachtmensch Schönberg es bevorzugt, die entsprchenende Weckfunktion mit seinen Champangnertriefenden Wurstfingern, mit denen er allerdings erstaunlich flink an technischen Apparaten herummanipuliert, auszupatschen, sobald er gegen vier Uhr morgens aus der Bussibar heimkehrte. Heute morgen muss er es im Suff versäumt haben. Vielleicht wäre es tatsächlich besser gewesen, hätte er ausgeschlafen. So hob sein scheinbar nie versiegendes Gejammer von neuem an, diesmal war es der Kopf, der ihn plagte. Selber schuld, dachte ich mir, und flüchtete vor seinem Selbstmitleid an meinen Rechner. Dieser leidend-vorwurfsvolle Blick, mit dem er mich von Zeit zu Zeit bedachte, verdarb mir allerdings schnell den Spass an den harmlosen Spielchen, mit denen ich mich zu zerstreuen suchte.Eine ereignislose Vorlesung an der TU bot ein wenig Entspannung. Gestärkt versuchte ich, den Kollegen davon zu überzeugen, das es unserer Gesundheit nur zuträglich sein könnte, das dauerfeuchte Kellergewölbe gegen eine halbwegs zivilisierte Wohnung zu tauschen. Aber selbst die Aussicht auf Warmwasser und ein echtes Badezimmer konnte ihn nicht wirklich überzeugen, und die Wohnungsanzeigen, die ich ihm in bester Absicht unterbreitete schaute er erst gar nicht an, der alte Sozialphobiker. Ich hab ihn dann Einkaufen geschickt, und hinterrücks ein paar Besichtigungstermine für morgen ausgemacht. Wenn er hier verschimmeln will, bitte. Aber ohne mich.
Krolitzen nörgelt wieder. Kaum war er vermutlich aus der Bussibar zurück musste ich zuerst meine Musik leiser stellen, als er nicht aufhörte setzte ich mir die Kopfhörer auf - nicht nur um weiter dem Genuß zu fröhnen als vielmehr sein krächzendes Motzen auszublenden. Wahrscheinlich hat er in der Bar wieder seine ganzen Monatseinkünfte verprasst. Es war so schön, ich habe mich ein wenig auf die lokale Musikkulör eingestellt, Fendrich, Danzer, Ambros gespielt was ich zuvor noch auf meiner Festplatte gefunden hatte. Oh du mein Österreich, Berge und Täler, klares Wasser wie Kindertränen. Und ich sitze mit dem nörgelnden Krolitzen in der muffigen Kellerstiege und muss darum betteln auch mit meinem Computer ins Internet zu dürfen. Vorhin ging er zum alten Strizzl und fragte doch tatsächlich ob er sich die letzten Stunden - die Krolitzen in der Bussibar verbrachte - belästigt gefühlt habe, er könne den Lärm ja gar nicht aushalten. Egal, seit Fendrich fühle ich mich besser, konnte mal ne Stunde abschalten und auch meiner Gesundheits hats wohl gut getan.
Der über alle Maßen wehleidige Schönberg macht mich noch wahnsinnig. Heute morgen setzte er die Leier von gestern fort; ich habe ihn angesteckt, ihm ginge es ja sooo schlecht, nein, das Loft könne er heute nicht verlassen. Das ganze in einem zwischen Pathos und Verzweiflung schwankendem Tonfall, den er zuletzt angeschlagen hatte, als er sich angeblich mit dem Cutter das halbe Bein amputiert hatte. Andere Menschen sprächen von anritzen.Auch seine Tablettensucht macht mir langsam Sorgen. Der ganze Boden, das sind immerhin 60 m², ist bedeckt von leeren Aspirinstreifen. Wenn es denn Aspirin ist.So nahm er auch heute schon zum Frühstüch mindestens sieben dieser kleinen Tabletten; seither wirft er sich jedes mal, wenn ich einem Apfel zu nahe komme, torwartmäßig über diesen und brüllt etwas von "nicht die Wände". Aus Sorge um unseren Lärmempfindlichen Nachbarn, Herrn Strizzl, habe ich deswegen heute auf Obst verzichtet. Es kann gar kein Aspirin sein.
Maschbauer Krolitzen ist heute wieder extrem rotzig. Nicht nur hat er mich mit seiner triefenden Nase angesteckt dass ich mich vor lauter Eckel nicht mehr vor den Spiegel traue, sondern will auch die frischgestrichenen Wände mit Clever-Äpfeln aus dem Billa bewerfen. Das Gefühl in diesem "Keller-Loft" titulierten Atelier ist daher mäßig, Temperaturen unter 16 Grad und diese bräsige Musik aus dem Laptoplautsprecher, weil Krolitzen wieder die Stecker für die dicken Boxen vergessen hat, machen mir Kopfweh. Neun mal darf ich das noch bekommen. Dann ist die Tablettenschachtel leer und in Österreich komme ich ohne Lizenz nicht mehr an das Zeug.
Seine Anfahrt nach Wien kann verlängern wer statt über Passau über Salzburg fährt. Das ist allerdings recht unbedeutend, nimmt man einmal die abenteuerlichen Fahrten durch die Strassen dieser Stadt voraus. Ohne krolitzen als kartenkundigen Beifahrer wären wir nie auch nur in die Nähe unserer provisorischen Bleibe gegenüber der Bussibar - die Damen dort trinken gerne Veuve Cliquot haben wir uns sagen lassen - gekommen.